Antisemitismus in der deutschen Rapszene, Vortrag von Ben Salomo

Seit einigen Jahren ist Ben Salomo in deutschen Schulen unterwegs, um auf den Judenhass in der Rapszene aufmerksam zu machen. Seine Arbeit wird von der Friedrich-Naumann-Stiftung getragen und begleitet.

Als Jude ist man in der Rapszene "unten durch".

Am Mittwoch, 17. April, wurde er auf Einladung der Geschichts-AG und Fr. Murken an der GSS empfangen, wo er im Workshop vor etwa hundert Schülerinnen und Schülern der 9. und 10.-Klassen sein Programm präsentierte. Er war damit der dritte jüdische Gast an der Schule seit dem Terrorangriff auf Israel vor einem halben Jahr.

Wer von einem ehemaligen Deutschrapper eine Rap-Show erwartet hatte, musste bis zum Schluss warten. Nach kurzen einführenden Willkommensworten von Schülerinnen und Schülern der Geschichts-AG begann Salomo mit seiner "Show", die aber streng genommen eher ein Vortrag war – allerdings sehr gekonnt mit einigen emotionalen Höhen und Tiefen und von Bildern begleitet. Erst am Schluss improvisierte er ein autobiographisches Lied über einem Beat-Track.

Jonathan "Johnny" Kalmanovich, Jahrgang 1977, der erst später sich den Künstlernamen "Ben Salomo" ("Sohn des Friedens") zulegte, teilte persönliche Erfahrungen aus seiner Jugend im Berliner Kiez der 1980er und 1990er Jahre, in denen er Ablehnung und Hass aufgrund seiner jüdischen Herkunft erlebte, und erklärte, wie er durch Schreiben und Musik einen Ausweg fand. Als sie elf Jahre alt war, entdeckte sein bester Kumpel, dass "Johnny" Jude war – und kündigte mit einer Prügelei die Freundschaft.

"Der Trottel auf der Party mit dem Hitlergruß"

Zum Einstieg packte Salomo die jugendlichen Zuschauer zunächst mit der Frage, wer selber direkt Augenzeuge von Antisemitismus gewesen ist. Es waren mit Ausnahme der anwesenden Lehrkräfte nur wenige im Raum. Erst als er begann, konkrete Beispiele zu nennen – Hakenkreuzschmierereien, der dumme Hitlergruß auf einer Party usw. – gingen die Lichter an. Fast jeder musste erkennen, letztendlich irgendwann irgendetwas derartiges erlebt zu haben.

Der Vortrag wanderte aber in langen Strecken von den autobiographischen Elementen ab in die Geschichte. Salomo beleuchtete die historischen Wurzeln des Antisemitismus, von biblischen Zeiten bis hin zur NS-Zeit, und machte deutlich, wie diese Vergangenheit in der heutigen Judenfeindlichkeit sichtbar wird. Einige Beispiele – wie etwa die Legenden um die Brunnenvergiftung – wurden dann später im Vortrag aufgegriffen, um den Judenhass heute sichtbar zu machen. So mahnte jemand im Kommentar unter einem seiner Videos "Bleib vom Brunnen fern Hebräer". Erst wenn man weiß, was ein "Hebräer" ist und die Legende von der Brunnenvergiftung erkennt, wird man merken, dass ein solches Kommentar als ein gezielter antisemitischer Angriff zu verstehen ist.

"Isra-Heil"

Er widerlegte dann auch mit eindrücklichen Beispielen und Bildern das Bild von Israel heute als eine rein weiße, intolerante, rassistische Gesellschaft und setzte somit manche Kritik an Israel und vor allem die direkte Gleichsetzung von Israel mit "den Juden" in den Kontext von Judenhass.

Ein wichtiger Schwerpunkt des Vortrags war die Definition von Antisemitismus, wobei Salomo die umfassende Definition des International Holocaust Remembrance Alliance hervorhob. Nur so fange man die ganze Bandbreite des Hasses ein – von den direkten Beschimpfungen und indirekten Andeutungen bis hin zu der Anwendung von unterschiedlichen Maßstäben, wenn es um die Kritik an Israel oder an jüdische Organisationen geht, womit Juden dann als Menschen auch angegriffen werden.

Gegen Ende des Vortrags ging er mit dem Publikum einige Beispiele von Antisemitismus durch – Gerüchte oder Vorurteile wie "alle Juden sind reich" oder "die Juden zahlen keine Steuern" oder "Juden kontrollieren die Medien" und zeigte mit einem Handzeichenspiel, dass die ganz große Mehrheit der Schülerinnen und Schüler – von denen die Meisten am Anfang des Vortrags von sich behauptet hatten, nie etwas antisemitisches mitbekommen zu haben – nicht nur durch Nazi-Symbole sondern auch durch das Fortbestehen uralter Legenden durchaus Berührung mit Judenhass hatten und haben.

"Haftbefehl hat euch angelogen"

Am eindrücklichsten waren seine Ausführungen zu antisemitischen Haltungen und Vorkommnissen in der deutschsprachigen Rap-Szene, seinem Hauptthema. Zum einen waren es Hasskommentare unter seinen Videos. Das begann schon früh, als er sich ab etwa 2010 mit dem YouTube-Kanal Rap am Mittwoch einen Namen machte und in ganz Deutschland Rap-Wettbewerbe veranstaltete und sie online veröffentlichte. Schon ein Kommentar wie "Free Palestine" ist nur in erster Annäherung nicht antisemitisch. Aber was hat, fragt Salomo, ein solches Kommentar unter einem Rap-Video zu suchen, zumal es im Video gar nicht um Politik geht, erst recht nicht um den Nahost? Der Produzent ist Jude und "der Jude" muss für Israel stehen – den "Juden unter den Staaten". Der Antisemitismus liegt in der Gleichsetzung der Einzelperson mit dem jüdischen Staat, und zwar in einer Art und Weise, die mit anderen Völkern so gut wie nie vorkommt. Krasser wird es mit direkten Attacken auf Israel – etwa "Israel ist ein Terrorstaat". Bemerkungen, die auf eine Gleichsetzung zwischen Israel und der NS-Politik abzielen, sind dann noch deutlicher – etwa "Isra-Heil". Die Schüler waren an dieser Stelle ganz still. Parallelen zu anderen politischen Fragen der Gegenwart – etwa zur Frage des "Genozids", die absichtlich den jüdischen Staat in die Nähe der Nazis rücken – zog Salomo nicht explizit.

Salomo thematisierte auch den Deutschrapper Haftbefehl (Aykut Anhan) und seine Anspielungen in einem Lied auf die sogenannte "Rothschild-Theorie" – eine explizit antisemitische Legende um die jüdische Bankier-Familie der frühen Neuzeit. Viele Schüler im Publikum kannten den Text, ahnten aber nicht, worum es hier eigentlich geht und welche Stereotypen dabei bedient werden. "Haftbefehl hat euch angelogen," so Salomo.

"Ich habe euch die Playlist verdorben."

Es ging aber nicht nur um Kommentare und Rap-Texte. Salomos Auto wurde während einer seiner Veranstaltungen in Brand gesetzt. Er vermutet natürlich, dass es kein Zufall war, das so etwas ausgerechnet dem einzigen jüdischen Rapper passiert. Als er irgendwann nach einigen Jahren genug hatte und versuchte, eine eigene Rap-CD, und zwar zum Thema Antisemitismus herauszubringen, wollten keine Labels mit ihm zusammenarbeiten. Nun konnte der Verdacht aufkommen, seine Musik sei einfach nicht gut genug und Salomo würde den Antisemitismusvorwurf als Ausrede für sein eigenes Scheitern anführen. Er hat aber immer wieder von vielen gehört – das Thema sei einfach zu heikel. Man hatte Angst, Kunden zu vergrellen und keinen Markt zu finden. Öffentliche Bemerkungen, wie etwa die von Arafat Abou Chaker, dem ehemaligen Manager des Rappers Bushido, machen es aber deutlich: "Als Jude bist du in der Rapszene unten durch". Schließlich erschien sein Album bei einem kleinen Label, wurde aber kaum rezipiert.

In vielen Bildern zeigte Salomo schließlich auch die symbolische Affinität zwischen einigen Rappern und antisemitischen Haltungen – ein Terroristenvisage als Tattoo bei Hadi El Dor – dem Manager von einigen berühmten Rapper (MoTrip, Sierra Kidd, Manuellson), T-shirts und andere Kleidungsstücke, die eine zumindest geistige Verbindung zu Terrorbewegungen im Nahost nahelegen. Es ging natürlich viel weiter etwa mit dem Deutschrapper Deso Dogg, der aktiv bei Dschihadisten am Krieg in Syrien teilgenommen hatte.

"Gangsta Rap", so Salomo, ist "komplett durchseucht."

Den Antisemitismus teilen Extremismusexperten oft in drei Bereiche auf, und zwar in einen linken, einen rechten und einen muslimischen oder islamistischen Antisemitismus. Ben Salomo verwendet dieses Schema nicht und sagt zu dieser Thematik nichts explizit, aber spätestens in diesem Teil des Vortrags wurde deutlich, dass es sich hier um eine Mischung aus den letzten zwei handelt. Die meisten Personen oder Beispiele ließen auf einen islamistischen Hintergrund schließen, wobei geistige und persönliche Verbindungen nach Rechts aufgezeigt wurden – belegt unter anderem etwa durch Fotos aus dem Backstage-Bereich auf Festivals, wo sich diese Rapper und Manager offenbar mit bekannten Rechtextremisten per du sind. Ein typisch "linker" Antisemitismus spielt hier offenbar keine Rolle.

Er wisse, sagte er im Vortrag, "Ich habe euch die Playlist verdorben". Das bleibt zu hoffen – nicht, dass einige Schülerinnen und Schüler, sei es aus einer Neigung zum Rebellentum, sei es aus einer echten Grundhaltung heraus, jetzt erst recht diese Rapper aufsuchen.

Sein Programm hatte wegen der Verspätung einer Klasse Überlänge – dennoch blieben viele Schülerinnen und Schüler auch nach dem Schluss um 15.40 Uhr, um seinen Vortrag zu Ende zu hören – ein Beweis für das Interesse unserer Schülerinnen und Schüler und für die Resonanz, die diese Thematik an unserer Schule findet.

Mark Hatlie, 22. April 2024